Gesundheitsamt - Gedenken an die Opfer der NS-"Euthanasie" 1921 wurde Gladbeck nach Erlangung der Stadtrechte 1919 kreisfreie Stadt. Dies hatte den Aufbau eines eigenen Gesundheitswesens zur Folge. Das Gesundheitsamt fand seinen Sitz im Gebäude an der Bottroper Straße 3, früher Hochstraße 141. Hier steht heute das Neue Rathaus.
Theodor Loweg hatte 1887 den Bau eines Wohnhauses beantragt, das 1901 um einen Anbau für die Errichtung einer Trinkhalle erweitert wurde. Vom späteren Wirt Dietrich Koopmann erwarb die Stadt das Grundstück 1921 im Tausch gegen das Grundstück Kaiserstraße 58 (heute Horster Straße). In der Folgezeit entstanden Anbauten, zum Beispiel ein Schuppen für die Freiwillige Sanitätskolonne vom Roten Kreuz 1934. Während des Zweiten Weltkrieges zerstörten Bomben im März 1945 das Gebäude. Zu dieser Zeit hatte das Gesundheitsamt bereits Räume im Arbeitsamt an der Goethestraße bezogen, wurde dort jedoch ebenfalls ausgebombt. Im März 1951 erfolgte der Abriss der Überreste und der noch intakten Kellerräume, auf denen der Gastwirt Theodor Wormland zwischenzeitlich eine Baracke als Ersatz für seine zerstörte Gastwirtschaft genutzt hatte.
Das Gesundheitsamt befand sich rechts neben Rathaus und evangelischer Notkirche. (Quelle: Stadtarchiv Gladbeck)
Ansicht des Gebäudes Bottroper Straße 3. (Quelle: Stadtarchiv Gladbeck)
Leiter des Gesundheitsamtes war seit 1921 bis zu seinem Tod 1940 der Stadtmedizinalrat Dr. Max vom Hövel, der die Entwicklung der Gesundheitsfürsorge in Gladbeck maßgeblich prägte. Die nationalsozialistische Gesundheitspolitik auf der Grundlage der "Rassenhygiene" führte er über das geforderte Maß hinaus durch. Mit dem "Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens" vom 3.7.1934 wurden die kommunalen Gesundheitsämter verstaatlicht. Zu den Aufgaben gehörten neben der Fürsorge die "Erb- und Rassenpflege", die gesundheitliche Volksbelehrung, die Schulgesundheitspflege, Mütter- und Kinderberatung, Fürsorge für Tuberkulöse, Geschlechtskranke, körperlich Behinderte und Süchtige.
Zwangssterilisation und NS-"Euthanasie"
Eine zentrale Rolle spielte das Gesundheitsamt bei der Durchführung des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933, das die Zwangssterilisation von "Erbkranken" vorsah. Hierzu zählten Menschen mit den Krankheiten: "angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein, erblicher Fallsucht, erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), erblicher Blind- und Taubheit, schwerer körperlicher Missbildung" und "schwerer Alkoholismus". 1934 begannen die Zwangssterilisationen von Gladbecker Einwohnern. Bis 1944 gab es 235 Anträge auf Unfruchtbarmachung, von denen 163 ausgeführt wurden. Antragsteller war hauptsächlich Dr. vom Hövel, hinzu kamen Anträge der Leiter der Heilanstalten, gesetzlicher Vertreter und in Ausnahmefällen Freiwilliger. Die von Ärzten, Hebammen, Krankenschwestern, Masseuren und Heilpraktikern zu meldenden Kranken wurden in der "erbbiologischen Bestandsaufnahme" des Gesundheitsamtes registriert. Hier erfassten die Ärzte auch die Kinder, die im Rahmen der "Kindereuthanasie" an den "Reichssausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- oder anlagebedingter schwerer Leiden" in Berlin zu melden waren. Mit seinem auf den 1. September 1939 zurückdatierten "Ermächtigungsschreiben" hatte Hitler verfügt, dass "nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt" werden konnte. In den extra eingerichteten "Kinderfachabteilungen" der Provinzialheilanstalten wurden Schätzugen zufolge mindestens 5.000 Kinder und Jugendliche im gesamten Reichsgebiet durch die Überdosierung von Medikamenten ermordet. In Westfalen wurden über 50 Kinder zunächst in der "Kinderfachabteilung" im St. Johannis-Stift in Niedermarsberg getötet, nach deren Schließung im Jahr 1941 mindestens 160 in der "Kinderfachabteilung" der Provinzialheilanstalt Dortmund-Aplerbeck. Die Ermordung erwachsener Psychiatriepatienten folgte zentral 1940-1941 in Tötungsanstalten. Die Organisation des Massenmordes übernahmen Tarninstitutionen mit Sitz in Berlin, Tiergartenstraße 4. Nach 1945 prägte sich daher für die Krankenmorde der Begriff "Aktion T4". Die für die Ermordung selektierten Menschen wurden über Zwischenanstalten in die sechs Tötungsanstalten (Brandenburg, Bernburg (Saale), Hadamar bei Limburg, Grafeneck, Sonnenstein/Pirna, Hartheim bei Linz) meist mit Bussen transportiert und in Gaskammern vergast. Aus Konzentrationslagern wurden kranke und nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge im Rahmen der Aktion "14f13" in Tötungsanstalten ermordet.
Mit Bussen der Reichspost wurden die Patienten von den Zwischenanstalten in die Tötungsanstalt nach Hadamar gebracht. (Quelle: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, 3008/1, 1013)
Die wachsende Unruhe in der Bevölkerung und öffentliche Proteste, insbesondere durch Kirchenvertreter - darunter die bekannte Predigt des Münsteraner Bischofs Clemens Augsut Graf von Galen am 3.8.1941 - veranlassten Hitler zum Stopp der Vergasungen. Die Morde wurden jedoch dezentral weitergeführt, nun durch die Verabreichung von Medikamenten oder bewusste Mangelernährung und Vernachlässigung. Während der "Aktion Brandt" (benannt nach Hitlers Begleitarzt Karl Brandt) mussten ab 1943 Heil- und Pflegeanstalten in nicht vom Luftkrieg bedrohten Gebieten geräumt werden, um dort Ausweichkrankenhäuser zu errichten. Im Rahmen dieser Verlegungen erfolgte die Ermordung weiterer Psychiatriepatienten. Geschätzt wurden insgesamt mehr als 300.000 Menschen im Deutschen Reich zwischen 1939 und 1945 Opfer der NS-"Euthanasie".
Gladbecker Opfer
Als Gladbecker Opfer werden die Menschen definiert, die zur Zeit ihrer Einweisung in eine Heilanstalt in Gladbeck gelebt haben, hier geboren wurden oder deren Familien zum Zeitpunkt der Ermordung in Gladbeck lebten und die in den Unterlagen des Gesundheitsamtes aufgeführt sind. In die Liste wurden grundsätzlich die Menschen aufgenommen, die mit dem Ziel der Ermordung in Zwischen- und Tötungsanstalten transportiert wurden und dort ums Leben kamen. Dies trifft auch auf zwei Menschen zu, die erst nach dem Kriegsende an Folgeerkrankungen durch Mangelernährung starben. Von den bislang 51 namentlich bekannten Gladbecker Opfern wurden 23 Personen in Hadamar getötet, 13 in der Zwischenanstalt Weilmünster. Das jüngste Opfer war erst zehn Jahre alt, das älteste 79. Zwei der Opfer hatten als Soldaten im Ersten Weltkrieg gedient. Besonders perfide ist das Schicksal einer Frau, die noch im Alter von 61 Jahren während ihres Aufenthaltes in einer Heilanstalt zwangssterilisiert wurde.
Gedenkort Den Erinnerungsort am Standort des früheren Gesundheitsamtes am heutigen Neuen Rathaus gestaltete der renommierte Künstler Paul Schwer. 1951 geboren, arbeitete er zunächst als Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und nahm parallel ein Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf auf. 1986 war er Meisterschüler bei Professor Erwin Heerich, 2007-2011 folgte eine Gastdozentur und 2011-2012 eine Vertretungsprofessur für Malerei an der Kunstakademie Münster. Seine Kunstwerke und Installationen zeigt Paul Schwer in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland.
Der von Paul Schwer gestaltete Gedenkort am Neuen Rathaus. (Quelle: Stadt Gladbeck)
Katrin Bürgel
Quellen und weiterführende Literatur
- Bitzel, Uwe: Lebensunwert. Die Heilanstalt Aplerbeck und ihre Kranken im Nationalsozialismus. Hrsg. von der Westfälischen Klinik für Psychiatrie Dortmund. Dortmund 1995. - Hövel, Max vom: Die Gesundheitsfürsorge der Stadt Gladbeck. In: Festschrift zur Erinnerung an die Erhebung Gladbecks zu einem selbständigen Amte am 1. April 1885. Gladbeck 1935, S. 96-100. - Klee, Ernst: "Euthanasie" im Dritten Reich. Die "Vernichtung lebensunwerten Lebens". Frankfurt 2010. - Leistungsbericht der Stadt Gladbeck 1933-1940, Gesundheitsamt S. 62-63. - LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen und LWL-Kulturabteilung (Hg.): Psychiatrie in Westfalen. Münster 2010. - Vossen, Johannes: Gesundheitsämter im Nationalsozialismus. Rassenhygiene und offene Gesundheitsfürsorge in Westfalen 1900-1950. Essen 2001. - Walter, Bernd: Psychiatrie und Gesellschaft in der Moderne. Geisteskrankenfürsorge in der Provinz Westfalen zwischen Kaiserreich und NS-Regime. Paderborn 1996. - Weichelt, Rainer: Zwangssterilisationen in Gladbeck von 1934 bis 1944. Nationalsozialistische Rassenideologie, Gesundheitspolitik und kommunale Gesellschaft. In: Arbeitskreis für Stadtgeschichte Gladbeck e.V. (Hg.): Beiträge zur Gladbecker Geschichte, Heft 4, 1992, S. 64-87.